Martin Schindler -
Ein Künstler kehrt seine Seele nach außen


Der "Herr der Welt", so der Titel des ersten Stückes auf dem damaligen Mantus-Debüt, ist Martin Schindler zwar nicht, mittlerweile dank dieser sowie seiner Zweitformation Black Heaven allerdings eine der bedeutendsten Konstanten in der deutschsprachigen Gothic-Szene. Fünf Albumveröffentlichungen in nur knapp drei Jahren bei gleichbleibend hohem Standard in musikalischer wie lyrischer Hinsichtlegen davon beeindruckend Zeugnis ab. Und dass "Obscurity", die zweite Langspielplatte des schwarzen Himmels, in meiner Jahresendabrechnung als großartigste aller Veröffentlichungen 2002 dastand, machte den Entschluss, diesen streitbaren Visionär einmal zu Wort zu beten, nur noch einfacher. Vorhang auf...


MS: Die Aktualität zuerst: Kürzlich ist ein Sisters Of Mercy-Tribute mit Deiner Beteiligung erschienen, was gibt es dazu zu sagen? Außerdem deutetest du an, viel zu tun zu haben, was genau dürfen wir wann erwarten?

M: Ich wurde gefragt, ob ich einen Song zu einem Sisters Tribute beisteuern möchte, und da es sich um eine großartige Band handelt, habe ich auch zugesagt. Zudem konnte ich mich auch noch mit meinem Lieblings Sisters Stück „Marian“ beteiligen. Den Song produzierte ich als wir auch die Songs für die „Fremde Welten“ CD einspielten.
Ich denke, in etwas 3 bis 4 Monaten dürfte mit einer Doppelveröffentlichung meinerseits zu rechnen sein. Mit Mantus habe ich gerade ein neues Studioalbum fertiggestellt, welches „Weg ins Paradies“ heißen wird. Und auch mit Black Heaven sind die Arbeiten zu einer EP fast fertig. Diese wird neue Songs beinhalten, neue Mixe älterer Songs, eine Coverversion von Depeche Mode und Remixe anderer bekannter Künstler. Betitelt ist sie mit „End of the world“. Wann diese beiden Veröffentlichungen allerdings auf den Markt kommen, wird sich im Laufe der nächsten Wochen entscheiden.

MS: In einem Interview mit Romarik von Forbidden Site (gibt es die Band eigentlich noch?) sagte dieser einst, Kunst sei seiner Meinung nach nicht geeignet, anklagend Kritik zu erheben oder überhaupt Außeneinflüsse zu verarbeiten, da andernfalls eine rein negativ geprägte Kunst das Resultat sei. Kunst sei seiner Meinung nach allerdings immer und grundsätzlich positiv. Deine Meinung dazu?

M: Naja, das ist natürlich völliger Quatsch. Der Künstler kehrt seine Seele nach außen und gibt der Welt preis, was ihn bewegt und was er sich vorstellt. Der Mensch generell ist Produkt der äußeren Einflüsse, seines Verständnisses und seiner Entscheidungen und gerade der Künstler hat das Recht, seine Sicht der Dinge aufzuzeigen. Kunst ist etwas das fasziniert aber vor allem ist Kunst individuell in der Darstellung. Sie ist genau das was sie sein soll.

MS: "Drown in my dreams": Liegt in dem Ausstieg aus der Wirklichkeit, der Flucht und Erschaffung einer eigenen Welt auch die Gefahr, sich in dieser zu verlieren? Was für ein Gefühl ist es, nach dem Aufenthalt in Deinen Träumen etwa aus dem Studio zu kommen und auf die Straße zu treten?

M: Meine Texte, genau wie mein eigenes Leben, liegen zwischen Traum und Realität. Natürlich besteht die Gefahr sich in erschaffenen Welten zu verlieren. Diese mächtigen Gefühle nehmen mich gefangen wenn ich Texte schreibe und wenn ich nachdenke, aber vor allem immer dann, wenn ich alleine bin. In meiner Produzententätigkeit bin ich allerdings schon fast zu routiniert und professionell als dass mir von daher Gefahr drohen könnte, denn Musik ist auch unheimlich viel Arbeit, wenn auch angenehme, und das lenkt ab von essentiellen Gefühlen. Die Wahrheit liegt in der Entstehung meiner Songs und nicht in der Vollendung. Wirklichkeit mischt sich mit Kunst und ist das Produkt all meiner Inspiration, denn das bin ich selbst.
Alles in allem habe ich meine Arbeit und mein Leben aber gut im Griff und kann mich kontrollieren, denn ich lebe schon seit Ewigkeiten mit meinen Gefühlen. Das war nicht immer so.

MS: "Agony" ist ein Stück, das in sich selbst zu schwelgen scheint, kein depressiv wirkendes. Schmerz vs. Lustgewinn - nur ein scheinbarer Widerspruch?

M: In diesem Stück habe ich versucht, den Schmerz des Daseins auf eine sexuelle Handlung zu übertragen und diese zu verbinden. Der Tod, den wir durch unseren Schmerz zu begreifen versuchen, übt auf mich eine sonderbare Erotik aus. Sex und Tod, zwei Dinge an die man glauben darf und die ungemein wichtig sind im Leben eines Menschen. Dieser Song ist eine nüchterne Betrachtung unserer Existenz.

MS: "Angst": "Die Angst, dich zu verführen" - ist es die Angst, die Verführung könne misslingen oder kann das genaue Gegenteil mehr Angst machen?

M: Konkrete Textstellen oder Interpretationen meiner Songs kommentiere ich sehr ungern. Alles was ich mit meinen Texten und der Musik verkörpere, sollte als Ganzes, Einheitliches gesehen werden. Tiefgründigkeit und Romantik braucht Freiraum für ein Verständnis und das will ich den Leuten geben. Meine Texte sind abstrakt, das ist mir bewusst, aber vielleicht ist darin auch der Reiz, sich mit meiner Welt zu beschäftigen. Wenn ich das Bedürfnis habe, mich zu einer Sache deutlich zu äußern, dann tue ich es.

MS: Ist Dir die Angst mehr vertraut als die Furcht? Furcht bezeichnet für meine Begriffe eher eine Reaktion inklusive konkretem Auslöser, Angst ist schwerlich zu lokalisieren. Wäre ein Leben ohne möglich?

M: Die Angst ist ständiger Begleiter in jedem Leben eines Menschen. Schon wenn wir auf die Welt kommen und unserer Mutter entrissen werden, spüren wir eine existentielle Angst, denn es ist kalt und wir sind allein. Ich denke, man kann sich seine Ängste und Urängste vor Augen führen, aber entkommen kann man ihnen nicht.

MS: In Deinen Texten sind religiöse Symbole und Figuren wiederkehrende Motive. Bezeichnest Du dich in irgendeiner Form als gläubig oder bist Du in der Position, die zu beneiden, die glauben können und um eine Kirche als Zuhause wissen?

M: Ich glaube, die Welt existiert zu einem Großteil allein aus der Vorstellung, weil wir ein Bedürfnis nach verschiedenen Dingen haben die nicht offensichtlich sind. Um uns herum mag totale Objektivität herrschen, doch das ist nicht genug und wir haben die Macht, vieles in diese Welt hineinzuinterpretieren. Religion fasziniert mich, aber ich halte absolut nichts von vorgeschriebenen Dogmen und Verhaltensmaßregeln. Beneiden tue ich in unserer Kultur allerdings niemanden wegen seines Glaubens, sondern denke eher, dass sie kein Bewusstsein für ihre eigene Verantwortung haben.
Allerdings bin ich in diesem Kulturkreis aufgewachsen und kenne mich deshalb mit christlichem Glauben und allem was das für Gesellschaft und Zeitgeist bedeutet am besten aus. Ich benutze diese Motive weil sie für mich etwas aussagen und darstellen und ich verstanden werden kann, wenn man sich auf meine Worte einlässt.

MS: Was ich noch nie verstanden habe: Woher die seltsamen Genusvertauschungen in "Feuer" als auch "Kleiner Engel flügellos"? "Eine Welt, dessen Menschen...". Von einem Versehen möchte ich wirklich nicht ausgehen, weshalb also der scheinbare Fehler?

M: Das deutlichste Beispiel hierfür findet man in dem Song „Flusseslauf“ von Black Heaven. „Träume nicht von einem Morgen, das dir fälschlich aufgezwungen“. Die Erklärung dafür ist eigentlich ganz einfach und zwar verändere ich an einem Text nichts mehr wenn er einmal fertiggeschrieben ist. Ich versuche das Ursprüngliche zu erhalten, die Idee die dahinter steckt. Mag es auf den ersten Blick als sprachlicher Fehler erscheinen, verbirgt sich dahinter doch vielleicht ein verborgener Sinn. Manchmal wenn ich schreibe, bin ich wie in Trance und wache erst auf wenn etwas beendet ist. Wenn ich schreibe, denke ich sehr schnell und bekomme die Worte manchmal nicht entsprechend auf Papier, so muss ich einen Gedanken zu ende schreiben, obwohl ich schon viel weiter vorgestoßen bin.
Leute aus der Beatnik Bewegung sprachen in diesem Zusammenhang von der Zensur des ursprünglichen Gedankens, wenn man im nachhinein noch etwas verändert. Man manipuliert sich selbst und ist nicht mehr spontan. Diese Einstellung habe ich mir zu Herzen genommen.

MS: Thema "Wahnsinn": Bist Du, aus einigem Abstand heraus betrachtet, mit der Umsetzung dieser Thematik auf "Abschied" zufrieden? Mir erscheint das Mantus-Debüt als weitaus wahnsinniger - "Herr der Welt" ist eine Übersteigerung in wahnhafte Gefilde, "Feuer" als "lyrische Tollheit" ebenso etc. -, während ich "Abschied" eher mit "Liebe" oder "Trauer" assoziiere.

M: Ich bin mit der Umsetzung sehr zufrieden. Allerdings lebe ich mit meinen Wahnvorstellungen schon seit einiger Zeit und es lässt sich gar nicht vermeiden, dass dieses Thema immer wieder in den Texten auftaucht.

MS: Empfindest Du es als schwierig, Fragen zu etwas älteren Stücken zu beantworten, kommen dabei Erinnerungen und Gefühle wieder hoch? Ist das mit ein Grund dafür, dass Ihr nie live auftretet, die Angst, Emotionen totzureproduzieren?

M: Naja, es fällt mir natürlich leichter über gegenwärtige Songs zu reden, weil die Gefühle die ich damit verbinde noch frisch sind. In der Erinnerung verändern sich viele Sachen. Das Schöne ist, dass sich im Nachhinein nichts verfälschen lässt, weil die Songs und die Texte geschrieben sind. Meine Musik lebt aus dem Moment heraus und ich kann mich gut in vergangene Situationen wieder hineinversetzen.
Dass wir zur Zeit nicht live auftreten hat andere Gründe auf die ich jetzt nicht näher eingehen möchte.

MS: Fühlst Du Dich mit Deinen Projekten manchmal in einer gewissen Enge gefangen? Ein oberflächliches Mainstream-Publikum können sie nie erreichen, Schlagervorwürfe hin oder her. Auf der anderen Seite wenden sich auch Angehörige einer "ernsten" Musikkultur von "weltfremden Spinnern" gemeinhin ab, zu viel Pathos, zu viele Dämonen, Tode, Höllenfeuer. Machen Unverständnis und Ignoranz Dich traurig?

M: Ich möchte niemanden zwingen, sich mit meiner Musik auseinander zu setzen. Ganz im Gegenteil. Ich schreibe meine Musik nicht für jeden. Ich gebe in den Songs das höchste preis was ich besitze, und zwar meine Gedanken und meine Gefühle. Wenn jemand das nicht zu schätzen weiß oder damit überfordert ist, soll er anderer Musik lauschen.
Es gibt in meinen Projekten sehr viel Angriffsfläche und somit wird auch immer viel Kritik laut werden und einige dieser Vorwürfe betrüben mich schon. Da ist z.B. das große „Problem“ mit den deutschen Texten. Viele Leute in der deutschen Musikszene sind einfach zu kleinkariert um ihre Heimatsprache als musikalisches Ausdrucksmittel anzusehen. Manchmal habe ich den Eindruck, sie fühlen sich dadurch peinlich berührt und sind schon fast überfordert, mal wirklich auf die Texte zu achten. Ich bin mir sicher, wenn ich bei Mantus seit jeher in englisch texten würde, hätte ich bis heute keinen Vorwurf gehört. Aber damit müssen sich viele Künstler in Deutschland auseinandersetzen.
In die Enge getrieben fühle ich mich mit meinen 2 Projekten sicher nicht, ganz im Gegenteil. Alles was ich nicht mit Mantus machen möchte, verwirkliche ich mit Black Heaven. Ich stehe bei einem Independent Label unter Vertrag und die lassen mir alle Freiheiten, so dass ich praktisch das machen kann was ich will.

MS: Ohne Stolz und eine gewisse Selbstverliebtheit ist die beschriebene Behandlung sicher nicht auszuhalten. Welchen Stellenwert misst Du Mantus innerhalb der "Szene" zu? Hat ein Musiker versagt, wenn er seine Band nicht als beste der Welt ansieht?

M: Als das Debut „Liebe und Tod“ produziert wurde, wollte ich romantische Gothic Musik machen und das tat ich auch. Allein durch diese Platte haben wir uns einen festen Stellenwert in der Szene gesichert. Wenn man sich die aktuellen Scheiben beider Projekte anhört, stellt man fest, dass alles viel individueller geworden ist. Meine Musik ist traurig und romantisch, das wird sich wohl so schnell nicht ändern, aber ich sehe mich doch allmählich losgelöst von jeglichen Kategorisierungen und so gehe ich auch an die Arbeit, wenn ich neue Songs produziere. Ich denke, gerade in der Szene werden wir immer auf große Zuneigung stoßen, weil man sich dort traut, sich auf Gefühle einzulassen und sich der Melancholie hinzugeben.

MS: Ein befreundeter Sechssaitenquäler begründete mir seine Abneigung Mantus gegenüber gar damit, das Gitarrespiel wie die Songs an sich seien ihm zu simpel. Wie stehst Du zu musikalisch-technischer Weiterentwicklung und wann können wir mit dem ersten Gitarrensolo rechnen?

M: In einigen Mantus Stücken findet man melodische Gitarren Soli, aber mehr in dieser Richtung habe ich nie beabsichtigt, weil so etwas das ganze Gefühl in den Songs zerstören würde. Es ist sehr wichtig sich zu entwickeln und festzuhalten was man wirklich mit seiner Musik beabsichtigt. Auf dem neuen Album wirst du feststellen, dass alles viel komplexer und in sich geschlossener geworden ist. In technischer Hinsicht komplizierter zu werden, war nie meine Absicht und wird es auch nie sein. Ich versuche neue Elemente in meine Musik einfließen zu lassen, mache das aber nur in dem Rahmen, dass der Grundgedanke und das tragende Gefühl in der Musik nicht verloren geht.

MS: Wenn Du Dir heute "Welt sei mein", das in meinen Augen und Ohren eine offenbare Verwandtschaft zu "Seelenlos" aufweist, anhörst - welcher der dort angesprochenen Punkte ist zum jetzigen Zeitpunkt der wichtigste resp. der, auf den Du am dringendsten noch hinarbeiten möchtest?

M: Also erst mal muss ich hier anmerken, dass in meinen Augen „Welt sei mein“ wirklich kaum etwas mit „Seelenlos“ gemein hat, außer der Tatsache, dass die Liebe der einzige Ausweg und die Antwort auf persönliches Leid darstellt. Das eine Stück ist sehr erdrückend und realistisch, das andere verträumt und offenherzig.
Es gibt eigentlich nichts, worauf ich hinarbeiten möchte. Alles entsteht bei mir aus dem Moment heraus und kann sich von heute auf morgen wieder radikal ändern.

Interview: Thorbjörn


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