"Ein Hauch von Wirklichkeit" Gothic Paradise Magaz

Mantus „Ein Hauch von Wirklichkeit“
Rezension von Gothic Paradise

MANTUS-Album Nummer fünf macht es spannend und verspricht nicht nur durch die mehr als ansprechende Optik der auf 3000 Exemplare limitierten Edition eine Menge. Das tolle „Küss Mich Wach“ schickt sich an, sogleich sämtliche Erwartungen zu erfüllen und nimmt mit seinem druckvollen Refrain im Prinzip dieselbe Rolle ein wie „Die Letzten Der Welt“ auf „Weg Ins Paradies“. Im Gegensatz zur letzten Veröffentlichung lockt der Eröffnungssong 2004 den Hörer aber nicht auf die falsche musikalische Fährte, denn der satt rockende Tenor wird konsequent durchgehalten, was „Keine Liebe“ bestätigt, in dem die Gitarre ungewohnte Akzente setzt. Der Virtuosenpreis geht allerdings trotz der häufiger als früher vertretenen Soli auch in diesem Jahr wieder nicht an MANTUS, doch dass von der Grunddirektive abgewichen würde, hat sicher eh niemand ernsthaft erwartet. So liegt der Fokus weiterhin hauptsächlich auf der Atmosphäre und nicht auf der technischen Klasse des zumeist recht simplen melancholischen Gothic Rocks; was vom Wesentlichen ablenken könnte, wird gar nicht erst verwendet.
„Sehnsucht“ wartet in diesem Rahmen mit kleinen Experimenten auf und integriert ein paar neue Sounds, während „Ich Töte Mich Selbst“ weniger hart, dafür aber treibend ausfällt und den Boden für den wunderschönen Glanzpunkt des Albums bereitet: „Dunkler Engel“ hat einen weniger aufregenden Titel, entpuppt sich jedoch als intensives und packendes Sehnsuchtsbekenntnis, das textlich weit weniger in die angedeutete Richtung zielt als vermutet. Mit „Ohnmacht“ ist eines der besten Gedichte überschrieben, das Martin Schindler je vertont hat, das ruhige und nicht nach dem gewohnten Muster aufgebaute Stück lockert nicht nur den Albumfluss auf, sondern vermeidet auch eine Selbstlimitierung, die bei dieser Band immer drohend über sämtlichen Songs schwebt.
Kritik gibt es trotzdem zu üben, denn „Stumme Schreie“ hält dem Vergleich mit den übrigen Kompositionen nicht ganz stand verliert bei mir auf Grund des unangemessenen Umgangs mit dem Thema Kindermissbrauch noch zusätzlich an Sympathie. „Der Spiegel“, ein kraftvoller und doch besinnlich stimmender Ohrwurm gewinnt diese indes schnell zurück und „Eiswasser“ ist als refrainloses, nicht gesungenes, sondern geflüstert erzähltes Experiment ein treffender Abschluss.
Hatte bislang jede Platte eine ganz eigene Note, ist diese hier für die Verhältnisse des Duos die am wenigsten in sich geschlossene und gleichzeitig die, die das Beste aller vorherigen Arbeiten vereint. Der Unterschied zum Vorgänger, von dem die Produktion scheinbar eins zu eins übernommen wurde, liegt neben manch verfeinerter Nuancierung vor allem im gesteigerten Härtegrad. Persönlich hat mich zwar „Weg Ins Paradies“ noch ein wenig mehr bewegt und bleibt deshalb für mich das Meisterstück, daran, dass MANTUS wieder einmal ein begeisterndes Werk für diejenigen vorlegen, die vor gelebter und deutschsprachig verarbeiteter Traurigkeit nicht zurückschrecken, ändert das freilich nichts.
Als Bonus für Besitzer der inzwischen ausverkauften Erstauflage wurden von einem klassisch geschulten Pianisten sechs Albumtracks eingespielt. Ein Wagnis, dass die Schwächen der im Gegensatz eindeutig nicht ausgebildeten Stimmen der Geschwister Schindler offen legt, sich am Ende aber bezahlt macht, da nicht nur das hörbar gekonnte Pianospiel über jeden Zweifel erhaben ist, sondern sich auch der männliche wie weibliche Gesang trotz oder vielleicht wegen seiner Mängel in die gar nicht einmal so fragilen Songs einfügt. Gelungen.