ZILLO 04/2004

ZILLO 04/2004

MANTUS - Martin Schindler zum Album
"Ein Hauch von Wirklichkeit"


Daß die beiden Mantus-Künstler Martin und Thalia Geschwister sind, spricht sich erst allmählich herum. Dass das Duo nun schon seit vielen Jahren romantische, metaphernreiche Gothic-Songs schreibt, ist dagegen längst kein Geheimnis mehr. Auch das neuste Ergebnis Ein Hauch von Wirklichkeit kann den beiden wieder mühelos zugeordnet werden � und doch ist so einiges anders!

Zillo: Das aktuelle Album heißt "Ein Hauch von Wirklichkeit". Welche Bewandtnis hat es mit diesem Titel auf sich? Empfindest du einen Hauch von Wirklichkeit als etwas Positives oder Negatives?
Martin: Da sich der Titel auf den entsprechenden Song bezieht und ich gleichermaßen einen Oberbegriff für das Album gesucht habe, ist der Titel sehr negativ belastet. Thematisch geht es auf dem Album oftmals um den Konflikt von Scheinwelt und Realität und ich verarbeite natürlich hauptsächlich eigene Erfahrungen. Es geht um die eigene Existenzangst und die Flucht in eine andere Wirklichkeit. Es sagt sich sehr einfach, dass man sich dem Leben und allen Problemen stellen soll, doch häufig ist die erste Alternative, sich einen Schutzwall aufzubauen der einen zwar auf der einen Seite schützt, aber es wird mit der Zeit auch immer schwieriger, sich wieder davon zu befreien.

Zillo: Seit dem letzten Mantus-Album "Weg ins Paradies" ist relativ wenig Zeit verstrichen. Was sind die Gründe, dass du so schnell ein neues Album veröffentlichst?
Martin: Es hat sich so eingependelt, dass jedes Jahr ein neues Mantus Album erscheint und wenn nichts dazwischen kommt, versuchen wir das auch in Zukunft fortzusetzen. Ich habe keinen anderen Job, dass heißt ich lebe von der Musik und selbstproduzierten Sachen und so habe ich genügend Zeit mich kreativ zu beschäftigen. Mantus nimmt allerdings auch nicht alle Zeit in Anspruch und ich mache noch einen Haufen anderer Dinge nebenher.

Zillo: Während das Gros der Titel auf "Weg ins Paradies" sehr balladesk ausgelegt war, klingen die Songs auf dem neuen Album etwas druckvoller und gitarrenlastiger. Was sind die Kriterien, nach denen du entscheidest, welche Richtung ein Song einschlägt?
Martin: Das kann ich gar nicht so recht beantworten. Ich setze mich ins Studio wenn ich eine Idee für einen Song habe und überlege mir dann nach und nach die einzelnen Spuren und dann kommt meist das heraus wie ich es mir vorgestellt habe. Aber es stand von vornherein fest, dass dieses Album mal wieder mehr rocken sollte und ich habe versucht die Produktion möglichst druckvoll zu gestalten damit die ganze Intensität der Songs gut rüberkommt. Ich arbeite außerdem nach dem Prinzip, dass sehr viele Songs produziert werden und sich erst zuletzt rausstellt, welche Songs mit auf das Album kommen. Viele ruhigere Stücke sind letztendlich noch rausgefallen und ich habe mich auch ein wenig auf das Gesamtbild des Albums konzentriert. Der Dominanz der Gitarren auf dem Album setzen wir dann jedoch die Piano Versionen auf der Bonus CD dagegen. Sie sind mit klassischem Piano und ohne Effekthascherei vorgetragen und so werden die Songs noch einmal neu interpretiert. Die Bonus CD ist eher was zum träumen.

Zillo: Ein Song wie "Ich töte mich selbst" wird sicherlich auf wenig Gegenliebe stoßen, wenn Eltern mitbekommen, welche Texte sich ihre Kinder anhören. Hast du dir beim Schreiben des Textes Gedanken darüber gemacht, wie so ein Text auf jemanden wirken könnte, der in einer tiefen Krise steckt?
Martin: Nein, solche Gedanken mache ich mir nicht und lehne es auch ab, meine Lyrik in dieser Hinsicht zu beschränken. Es ist wie bei so vielen Songs von Mantus, wie sicherlich auch bei Texten anderer Bands, dass man genau hinhören muss und den Song als Ganzes versteht. Dieser Text ist alleine auf mich bezogen, auf meine Beziehung zum Leben im allgemeinen wie auch auf die Menschen die mich umgeben und auch auf die Leute die sich meine Musik anhören. Unsere Gesellschaft ist sowieso schon sehr oberflächlich und plakativ und ich schreibe eben Musik wo man auch mal richtig hinhören muss um den tieferen Sinn zu verstehen. Dieser Text hat nun wirklich rein gar nichts mit Selbstmordgedanken zu tun, sondern er beschreibt nur meine Situation, wenn auch auf sehr tragische Weise, aber das ist meine Art mich auszudrücken.

Zillo: Was hat dich dazu bewogen, "Ich töte mich selbst" zu schreiben?", "Titel wie "Keine Liebe", "Sehnsucht","Ich töte mich selbst", "Dunkler Engel","Ohnmacht", "Stumme Schreie" oder "Dein Feind" hören sich wenig hoffnungsvoll an. Waren die letzten Monate für dich selbst so schwer oder glaubst du, hoffnungsvolle Songs würden nicht in das Konzept von Mantus passen?
Martin: Das hat mit Konzepten sehr wenig zu tun. Ich kann nun mal nicht aus meiner Haut und ich schreibe von Dingen die mich beschäftigen und die mir wichtig sind. Ich widme mich ernsthaften und persönlichen Themen und habe kein Interesse daran langweilige Mainstream Musik zu produzieren, oder sinnentleerte Tanzflächenhits wie es sie in dieser Szene leider auch tonnenweise gibt. Im Mittelpunkt steht bei mir immer Freud und Leid des Einzelnen und sehr oft überwiegen leider die negativen Dinge.

Zillo: Es gibt sicherlich auch in deinem Leben Momente von Zufriedenkeit und Glück. Hast du schon mal versucht, in solchen Augenblicken einen Song zu schreiben und diese Gefühle darin auszudrücken?
Martin: Von diesen Songs gibt es einige bzw. gibt es sehr viele Songs wo immer ein großes Maß an Hoffnung und Liebe eine Rolle spielt. Die Texte sind nicht nur nihilistisch, sondern es brennt immer ein Licht am Ende des Tunnels. Ich glaube fest an die Macht der Liebe und das spürt man deutlich an fast jedem Mantus Song.

Zillo: Mit dem Song "Ein Hauch von Wirklichkeit" begibst du dich auf politisches Terrain, ist dieser Track doch ein Gegen-Nazis-Song. Warst du selbst in einer gefährlichen Situation mit Neo-Nazis oder was gab den Ausschlag für diesen Song?
Martin: Der Text zu diesem Song ist sehr zwiegespalten und man kann sehr viel dort hineininterpretieren. Ich habe mich nicht hingesetzt und mir gesagt, so jetzt will ich mal einen Anti Nazi Song machen. Sicher, ich verachte dieses Gesocks zutiefst und das habe ich auch schon in anderen Songs deutlich gemacht, hier benutze ich diese Elemente aber eher als Stilmittel und möchte sie als Metaphern verstanden wissen. Die Essenz auf die ich hinaus will ist eine ähnliche wie bei �Pathos� oder �Phönix�. Die Welt ist mir in vielen Belangen sehr fremd geworden und oft fühle ich mich außerhalb des Ganzen. Eine innere Wut, der Wille nach Zerstörung und einer neuen Ordnung gibt mir ein Gefühl von Reinheit zurück.

Zillo: Beschränkt sich dein politisches Engagement auf die Musik oder bist du noch in anderen Feldern politisch aktiv?
Martin: Mit Politik kann ich mich nicht so recht anfreunden, da ich Kompromisse oft als nichts halbes und nichts ganzes empfinde. Lange Zeit habe ich sozialkritische oder politische Themen aus der Musik rausgehalten, weil mir ein romantischer Anspruch wichtig war und den wollte ich nicht dadurch �verfälschen�. Allerdings ist es immer wichtig eine Meinung zu haben und diese auch vertreten zu können. Meine Texte wurden, vor allem früher, schon sehr oft falsch verstanden und das war auch ein Grund um klarzustellen von welchem Ufer wir eigentlich kommen.

Zillo: In "Stumme Schreie" geht es um sexuelle Kindesmißhandlung. Ist dies ein Aufruf an die Opfer, nicht weiter zu schweigen oder welches Ziel verfolgst du mit dem Song?
Martin: Kindesmissbrauch ist natürlich ein sehr sensibles Thema und meine Absichten sind deshalb nicht weiter definiert. Es ging mir nur darum, dieses Thema anzusprechen weil es schon immer und zu jeder Zeit aktuell war und nicht totgeschwiegen werden darf. Die Dunkelziffern dieser Verbrechen liegen verdammt hoch und ich denke es ist eines der schlimmsten Sachen die man einem Kind antun kann. So etwas trägt man sein Leben lang mit sich herum und man muss damit klarkommen.

Zillo: Kennst du persönlich jemand, der als Kind sexuell mißbraucht wurde oder wie hast du dich in diese Person hineingedacht?
Martin: Ich habe mir einfach vorgestellt wie groß der Hass eines erwachsenen Menschen sein muss der so etwas erleiden musste und ich habe versucht mich in die Gedanken des Kindes reinzudenken.

Zillo: Sexualstraftäter werden in Deutschland meist weniger streng verurteilt als z.B. Steuerbetrüger. Was hältst du für eine gerechte Strafe für solche Täter?
Martin: Das ist im Allgemeinen natürlich sehr schwer zu beantworten und man muss auch hier, wie blöd es auch klingen mag, differenzieren. Prinzipiell halte ich die höchste Freiheitsstrafe für erwiesenen Kindesmissbrauch für angemessen.

Zillo: Die Musik von Mantus ist ja eher zum Träumen und Nachdenken als zum Tanzen ausgelegt. Vielen Hörern helfen deine Texte sicherlich, insofern sie ihnen zeigen, dass es noch andere Menschen gibt, die ähnliche Gefühle hegen. Was waren die positivsten Resonanzen, die du bislang von deinen Fans erhalten hast?
Martin: Resonanzen kommen bei mir täglich so einige an und die Palette ist da sehr breit. Viele Leute schreiben mir, dass ich mit den Texten ausdrücke was sie schon seit langem fühlen, viele finden es einfach nur gut dass wir deutschsprachige Musik machen und viele mögen einfach nur unseren Stil. Gerade weil wir deutschsprachig sind, wird sehr viel Wert auf die Texte gelegt und so kommt es wohl, dass ich häufig Gedichte oder Geschichten zugeschickt bekomme. Man merkt das auch in unserem Forum auf der Homepage wo massenweise Gedichte niedergeschrieben werden. Dann gibt es Leute die uns selbstgemachte Bilder und Graphiken zuschicken, meist auch auf die Texte oder auf das Artwork bezogen. Wir sind für jede Resonanz dankbar, auch wenn wir nicht allen antworten.

Zillo: Oft hilft es ja, wenn man mit Freunden über die Dinge spricht, die einen bewegen. Machst du das auch oder reicht es dir, dir die Dinge von der Seele zu schreiben und zu vertonen?
Martin: Intensive tiefgehende Gespräche mit Freunden über meine Gefühle führe ich eher selten. Ich bin ein introvertierter Mensch und so bringe ich meine Gefühlswelt eher durch die Musik und die Kunst nach außen.

Zillo: Mantus ist ein Duo. Wie sieht die die Arbeitsteilung bei euch auf?
Martin: Ich schreibe die Musik und die Texte und auch produziert wird hier in Köln, Thalia ist für ihre Vocalparts zuständig und darüber hinaus macht sie sehr viel für das Projekt da die Arbeit sehr vielschichtig ist.

Zillo: Welches Gefühl herrscht bei dir, wenn du die fertige CD vor dir liegen hast: Erschöpfung? Erleichterung? oder....??
Martin: Bei mir geht es ständig immer weiter, Ruhepausen gönne ich mir sehr selten. Wenn die fertige CD aus dem Presswerk kommt, bin ich aber schon etwas erleichtert, weil der Prozess erst mal abgeschlossen ist. Man kann nichts mehr verbessern, man muss sich die Stücke nicht noch hundertmal anhören und man kann frei auf mit etwas anderem beginnen. Außerdem ist man schon ein wenig Stolz wenn man das Resultat in Händen hält.