ORKUS 09/2005 (1)

MANTUS - Sich darauf besinnen, was man wirklich will
- Das Finale - Teil 1 -

Axel Schön
mit Martin und Tina, Oktober 2005

Unaufhaltsam hat es sich in der Szene herumgesprochen: Mantus, seit Jahren fester Punkt im Universum gotisch-romantischer Musik, stellen ihre Arbeit ein, und die dahinter stehenden Künstler Martin und Tina (Thalia) werden mit ihrem kürzlich gegründetem Projekt Sepia andere musikalische Wege beschreiten.
Doch zuvor veröffentlichen Mantus noch ein sechstes Album mit dem bezeichnendem Titel Zeit muss enden, voll gepackt mit neuen Songs, Cover-Versionen und einer Bonus-CD. Höchste Zeit also für ein ausführliches Gespräch, mit den beiden, von dem ihr hier den ersten Teil lesen könnt.

Orkus: �Ich sehe uns selbst als eine Konstante in der deutschsprachigen Musikszene und habe auch das Gefühl, das wir von den Leuten als fester Bestandteil angesehen werden�, hast Du, Martin, im vergangenen Jahr erklärt. Trotzdem nun ein letztes Album, dann die Auflösung von Mantus!
Martin: Diese Aussage habe ich vor allem deshalb gemacht, weil wir konstant jedes Jahr ein Mantus-Album veröffentlicht haben und die Zahl der Hörer sich jedes Jahr gesteigert hat. Selbst die älteren Veröffentlichungen sind heute noch gefragt. Wir haben es irgendwie geschafft, immer präsent zu sein; und auch wenn wir nie den großen Durchbruch hatten, war Mantus jedem ein Begriff. Der Grund für die Auflösung ist hauptsächlich der Stilwechsel in unserer Musik. Mantus zeichnet sich meist durch getragene, gefühlvolle und auch romantische Songs aus. Die Songs haben immer bestimmte Sachen oder Ideale verkörpert. Heute bin ich in meiner Persönlichkeit nicht mehr das, was die Mantus-Songs vermitteln möchten, Meine Lyrics haben sich geändert, und das Songwriting ist ein ganz anderes. Außerdem möchte ich in Zukunft nicht mehr singen, weil ich mich selbst nicht als Frontmann und Sänger sehe. Trotzdem möchten wir Konzerte spielen und auf Tour gehen, und das würde Probleme geben. Mantus war ein Studioprojekt, hauptsächlich auf die Lyrics ausgelegt � manche Songs bestehen aus nur 4 Akkorden - , und wenn ich auf der Bühne stehe, habe ich einfach mehr Lust, zu rocken. Eine Band ist noch etwas ganz anderes, als wenn Mantus-Songs von Gastmusikern live umgesetzt würden. Wir verzichten deshalb auf den etablierten Namen Mantus und gehen den schwierigeren Weg, in dem wir wieder ganz unten anfangen. Und wir hoffen, das wir auch mit der neuen Band die Leute überzeugen können.

Orkus: Ist es nicht aber auch ein Zeichen einer dynamischen Band, Entwicklungen persönlicher wie auch künstlerischer Art zu antizipieren und in die Arbeit einzubringen?
Martin: Natürlich kann man sich mit der zeit entwickeln, aber wenn die Musik nicht mehr die Charakteristik einer Band aufweist, bin ich der Meinung, das man lieber etwas Neues beginnen sollte. Ich finde auch, man sollte die Hörer nicht allzu sehr vor den Kopf stoßen. Wenn man sich z.B. die Entwicklung von Theatre of Tragedy anschaut, ist es ganz deutlich, das sie ein Großteil ihrer alten Fans verloren haben. Ich möchte Mantus lieber als das in Erinnerung behalten, was es für mich all die Jahre gewesen ist, anstatt das Projekt von Grund auf zu erneuern.

Orkus: Ihr hattet also die Sorge, das die Fans die Entwicklungen nicht mitgetragen hätten?
Martin: Genau die Befürchtungen hatte ich und hoffe jetzt darauf, das die meisten Verständnis für unsere Entscheidungen aufbringen könnten. Immerhin gehen die Emotionen, die in unserer Musik liegen, nicht verloren, sondern werden in anderer Weiser fortgeführt.

Orkus: Mir kommt eure neue, letzte Platte im Vergleich zu den bisherigen relativ hart, stellenweise von den Gitarren her schon fast roh vor. Bist Du wütend, und überdeckt eventuell diese Wut derzeit (oder nach und nach nun immer mehr?) die anderen Gefühle?
Martin: Liebe und Hass sind wohl die stärksten Gefühle, die ein Mensch haben kann. Viele Ansichten und Entscheidungen resultieren aus diesen Gefühlen. Ich war noch nie ein Mensch, der Sachen einfach als gegeben akzeptieren konnte. Für mich ist es sinnvoller, etwas zu hassen, als es ironisch zu betrachten oder gar darüber zu lachen. Die Realität dieser Welt ist für mich heute wichtiger als irgendwelche romantischen Vorstellungen. Man kann die Wut in sich hineinfressen, oder man schreit sie hinaus, so dass es jeder hört.

Orkus: Einige Parts, beispielsweise bei Tausend Tode, können beinahe als Metal durchgehen. Hast du diesbezüglich neue Einflüsse aufgenommen?
Martin: Ja, Metal hat seit dem letzten Jahr einen hohen Stellenwert für mich eingenommen. Trotzdem sind auch auf diesem Album die Songs so gehalten, das die neuen Elemente das Feeling in der Musik nicht zerstören.

Orkus: �Sie sprechen von Toleranz, weil sie den Standpunkt verloren�, singst du in dem Stück Masken. Im Umkehrschluss: Intoleranz als Ausdruck eines festen Standpunktes?
Martin: In den veröffentlichen Mantus- Texten bin ich über die Jahre selten konkret geworden, um genügend Spielraum für Eigeninterpretationen zu lassen. Doch jedes Mal hat es mich insgeheim sehr geärgert, wenn Texte missverstanden worden oder wir sogar heute noch nach unserer politischen Überzeugung gefragt werden. Dieser Textauszug bezieht sich darauf, das unser liberaler Zeitgeist so weit geht, keine Ideale mehr zu haben oder sie zu verteidigen, man sich scheut, seine eigenen Ansichten mitzuteilen, wenn sie nicht der Allgemeinheit entsprechen. Es ist vielleicht, gerade als Deutscher, immer gefährlich, wenn man sagt, das man Radikalität in Denken und Handeln befürwortet, aber dieser allgemeinen Oberflächlichkeit unserer Gesellschaft kann man nur entgegentreten, wenn man sich darauf besinnt, was man denn wirklich will, was sich verändern soll, und wohin es gehen kann. Warum sollte man etwas tolerieren, das lebensfeindlich und menschenverachtend ist, warum sollte die Welt nicht so sein, wie man sie haben will? Diese Textzeile will ausdrücken, das man Toleranz nicht als Entschuldigung nehmen sollte, keine eigene Meinung zu haben!

Orkus: Gerade dieses Lied Masken drückt deutlich aus, was an und in dieser Gesellschaft ihr ablehnt. Gibt es denn auch etwas in dieser Zeit, das ihr gut findet, befürwortet?
Martin: Natürlich ist es so, dass die Menschen noch niemals in der Geschichte so frei waren wie heutzutage, noch nie gab es so viele Möglichkeiten wie heute. Es ist einfacher, auf die Dinge zu achten, die nicht funktionieren, und alles zu kritisieren, was besser sein könnte; und solange man in einer Gesellschaft lebt, in der so etwas möglich ist, kann nicht alles verkehrt sein.
Tina: Mich hat zum Beispiel die Hilfsbereitschaft und Anteilnahme der Menschen nach der Flutkatastrophe in Asien sehr beeindruckt. Solange Ungerechtigkeit und Not durch die Medien bekannt gemacht werden, besteht, glaube ich, glücklicherweise noch eine große Solidarität in unserer Gesellschaft mit den Opfern und Betroffenen.
Martin: Anderseits ist es traurig, das erst etwas schreckliches passieren muss, bevor man Anteil nimmt. Die Medien können die Menschen natürlich auch auf positive Weise manipulieren, aber die meiste Zeit des Jahres geht es leider darum, �das Currywurst vor Krebs schützt� und Ähnliches. Die Leute wollen im Alltag abgelenkt sein, damit sie nicht zu viel nachdenken müssen.

Orkus: Großer Bruder ist offen antiamerikanisch Wo würdet ihr uns denn ohne �großen Bruder� sehen, was wäre besser?
Martin: Dieses Stück ist absolut antiamerikanisch, denn ich halte die Amerikaner beziehungsweise die Agitatoren amerikanischer Kultur und Politik für die größte Verbrecherbande auf diesem Planeten. Die Demokraten dieser Welt richten sich bewusst und manchmal auch zwangsläufig nach der Art und Weise des amerikanischen Systems. Ihre Form des Kapitalismus ist eine Diktatur im Schafspelz, und Konsum bestimmt die Gesellschaft. Europäische Systeme hätten es nicht nötig, diesen Weg zu gehen, und es wäre an der Zeit, sich gegenüber amerikanischer Arroganz zu behaupten. �Wir brauchen keinen großen Bruder�, damit wir uns nicht grundsätzlich an falschen Vorbildern orientieren.

Orkus: �Du bist das Einzige, was zählt�, heißt es in einem weiteren eurer neuen Lieder. Warum dann überhaupt die Beschäftigung mit all diesen Problemen wie Nazis, Kindesmissbrauch, Krieg, die ihr mit Mantus aufgearbeitet habt?
Martin: Ach, es gibt doch einfach die Momente, wo nichts anderes wichtig ist und wo man an nichts anderes denken will. Diesen Song habe ich mal kurz nach dem Aufstehen geschrieben, nachdem ich einen Traum hatte, der mir sehr vertraut erschien. In diesem Moment gab es nichts anderes als dieses Gefühl. Auch wenn ich Liebe für eine Illusion halte, ist es doch das, wofür es sich zu leben lohnt.